Paralympics-Interview mit Stefan Weil: „Unnötig ins Risiko gegangen“

Nachdem die deutsche Mannschaft bei den Paralympics in Tokio die Hälfte der Gruppenspiele hinter sich hat, konnten wir Co-Trainer Stefan Weil für ein Interview gewinnen. Er analysiert darin die ersten beiden Spiele, die nicht unterschiedlicher hätten verlaufen können. Er erzählt außerdem vom ersten Ruhetag und blickt voraus auf den kommenden Gegner Belgien (Samstag 12:30 Uhr).

(Das Interview führte Kevin Barth)

Goalball.de: Die ersten beiden Spiele bei den Paralympics sind absolviert. Wie lautet das bisherige Fazit?

Weil: Die Stimmung ist so ein Bisschen geteilt. Bei unserem Sieg gegen die Türkei war natürlich noch nicht alles Gold was glänzt, aber insgesamt waren wir schon recht zufrieden mit dem Verlauf. So ein erstes Spiel im Turnier ist natürlich immer besonders. Gegen die Ukraine sah das natürlich ganz anders aus. Ein Spiel, das lange offen war, das aber auch irgendwie schwierig war, weil wir den letzten Schritt irgendwie nicht hingekriegt haben. Wir sind immer wieder rangekommen, ein Tor entfernt vom Ausgleich, um uns dann das Leben wieder selbst schwer zu machen durch dumme Fehler. Und hintenraus sah es dann klarer aus, als es im Endeffekt war, als die vielen Longballs und Penaltys dazukamen. Das hat natürlich für gedrückte Stimmung gesorgt. Insgesamt ist es aber so, dass erst zwei Spiele gemacht sind und wie man gerade sieht nehmen sich die Mannschaften munter gegenseitig die Punkte ab. Die Belgier haben zwei Siege, aber gerade hat China gegen die Ukraine gewonnen. In der anderen Gruppe spielt Litauen gegen Algerien unentschieden, die Japaner brechen die USA ab, die davor Brasilien geschlagen haben. Ziemlich verrückte Ergebnisse gibt es hier, das ist wirklich spannend. Es scheint wirklich so zu sein, dass man hier gut darauf achten muss, mit den Gegebenheiten entsprechend umzugehen. Der Boden ist sehr glatt und sobald der nass wird haut derBall ab, wenn man den falsch aufsetzt. Es wird nicht der einzige Faktor sein, aber es geht schon darum, welche Mannschaft damit am besten zurecht kommt.“

Goalball.de: Gegen die Ukraine wurden sieben Strafwürfe verursacht und fünf davon hat der Gegner zu Toren genutzt. Am Stammtisch würde man es sich jetzt einfach machen und sagen: Die sind zu früh ins Risiko gegangen. Ist es so einfach?

Weil: Ich würde nicht sagen, dass wir zu früh ins Risiko gegangen sind. Wir sind unnötig ins Risiko gegangen, das stimmt. Es gab dann einen Punkt in der zweiten Halbzeit, an dem sich das enorm geballt hat. Drei Würfe hintereinander waren Longballs und das darf einfach nicht passieren. Das warnatürlich auch Hauptthema bei der taktischen Auswertung. Da müssen wir uns im Griff haben, unseren Stiefel weiterspielen. Das müssen wir uns ankreiden, ganz klar.

Goalball.de: Wie wird jetzt der erste Ruhetag genutzt? An Welchen Stellschrauben kann man in dieser Zeit drehen?

Weil: Wir hätten den Tag lieber mit der Euphorie von zwei Siegen in der Tasche genutzt. Jetzt war es natürlich so, dass wir viel mit der Mannschaft in Sitzungen unterwegs waren, analysiert haben, was gestern schief gegangen ist. Es geht darum, nicht auch gegen die Belgier in diese Falle zu tappen. Die spielen hier ein superstarkes Turnier, haben beide Spiele mit einer ziemlichen Souveränität bislang gewonnen. Das sind alte Hasen, die wir schon lange kennen, gegen die wir schon oft gespielt haben. Wir haben sie schon oft geschlagen, aber sie haben uns das Leben weiß Gott auch immer schwer gemacht. Eigentlich müsste man sie in die Favoritenrolle schieben, aber wir wissen natürlich auch, das wir bislang nicht unser Potential abgerufen haben. Darüber mussten wir einfach viel reden und Abstimmungen treffen, wie wir wieder unser Spiel spielen können. Ansonsten haben wir natürlich trotzdem versucht, den Jungs einigermaßen viel Zeit zum Regenerieren zu geben, vielleicht mal bei einem Spaziergang, einem Nickerchen, oder etwas ganz anderem abzuschalten. Das ist natürlich schwer in diesem Turnierverlauf, aber trotzdem wichtig.

Goalball.de: Worauf wird es gegen Belgien ankommen?

Weil: Wir müssen wieder intelligenten Goalball spielen. Genauso, wie wir das in den letzten Turnieren auch gemacht haben, was uns zu Medaillen geführt hat. Enorme Disziplin hat uns in den vergangenen Turnieren ebenfalls ausgezeichnet und auch das wird natürlich morgen ein Schlüsselfaktor. Wir dürfen keine Penaltys mehr verursachen, die müssen wir bestmöglich vermeiden. Wir müssen unser Spiel spielen und der agierende Part sein. Wir müssen mit Sicherheit geduldig sein, das wird kein High-Scoring-Game werden bei sehr defensivstarken Belgiern. Gegen die Ukraine sind wir ungeduldig geworden, waren genervt vom Spielverlauf und haben gedacht, mehr Kraft aufwenden zu müssen.

Goalball.de: Die ersten beiden Spiele waren jeweils live im TV zu sehen, Gibt es da dann besonders viel Feedback aus der Heimat?

Weil: Das war natürlich eine tolle Sache für uns, für den Sport. Erstmals live im deutschen Fernsehen zu kommen ist eine große Ehre für uns und klar macht das auch etwas mit einem. Das ist im Hinterkopf, dass da in Deutschland viele Leute zukucken, aber das freut einen dann auch. Natürlich kam dann viel Feedback. Als man dann wieder auf dem Heimweg in Richtung olympisches Dorf war, waren natürlich auf dem Handy jede Menge Nachrichten da. Mit Sicherheit auch mehr Nachrichten, als das bei anderen Turnieren der Fall war. Insbesondere haben sich Leute gemeldet, die man schon fast vergessen hatte, die man irgendwann mal in der Vergangenheit kennengelernt hat. Die Reichweite wurde also potenziert.

Goalball.de: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die kommende Partie!