Profilbeton SuperCup 2022, oder: Hat hier jemand ‚Hochspannung‘ gesagt?

Nils Emig (SSG Blista Marburg) beim Wurf, Foto: Binh Truong / AktivGOAL

Von Kevin Barth

Der 13. Oktober 2019 war eines der Highlights meiner bisherigen beruflichen Laufbahn. In der prächtig gefüllten Rostocker Stadthalle durfte ich den EM-Titel der deutschen Goalball-Herren und Platz Drei der Damen als Experte am Kommentatorenplatz mitbegleiten. Ich bin heute noch ein bisschen peinlich berührt, weil mir nach dem Schlusspfiff des Männerfinals nichts Besseres als: „Es ist aus!“ eingefallen ist. Dann kam Corona und die durch die EM geschaffene Aufmerksamkeit ließ wieder nach. Vor ziemlich genau einem Jahr erfuhr ich dann von den Plänen, ein neues nationales Turnier zu veranstalten, um den Sport nach außen noch besser präsentieren zu können. Auch wenn ich seit 2016 nicht mehr als Hallensprecher zur Verfügung stehen konnte, habe ich den Sport nie aus den Augen verloren und fand das eine spannende und mutige Idee.

Nostalgie und Hörgenuss

Deshalb war es für mich eine große Freude, beim Profilbeton SuperCup fast 900 Tage nach der EM als Co-Kommentator für den offiziellen Livestream zurückzukehren. Es ging nach Marburg, also der Ort, an dem ich selbst als 14-jähriger Schüler zum ersten Mal einen Goalball in der Hand gehalten hatte. So ein bisschen schloss sich also am 26. März für mich, der bestenfalls das Talent für einen „Emotional Leader“ gehabt hätte, auch der Kreis. Als Hauptkommentator konnte für diese Veranstaltung Björn Naß gewonnen werden, mit dem ich schon bei der Europameisterschaft in Rostock sehr angenehm zusammenarbeiten durfte. Er hatte eine genauso lange Goalball-Pause wie ich in den Knochen, aber das merkte man ihm überhaupt nicht an. Während Co-Kommentator Barth noch in der Nostalgie-Schleife gefangen war und Michael Dennis mindestens sechsmal mit seinem ehemaligen Nachnamen „Feistle“ betitelte, lief Kollege Naß schon zur Höchstform auf. Es war so, als hätte er erst gestern eine Partie Goalball kommentiert, absolut beeindruckend.

Die Sportlerinnen und Sportler haben es ihm und mir zugegeben auch leicht gemacht. Das Turnier bot vier fast durchweg spannende Spiele mit insgesamt 83 Treffern. Eine bessere Werbung für diesen Sport kannst du auf dem Reisbrett gar nicht entwerfen. In dieses Bild passte dann auch noch die Tatsache, dass es gleich zweimal in die Verlängerung ging. Thomas Steiger, der im Laufe des Nachmittags wie ein guter Wein immer besser wurde, glänzte hier zunächst mit dem entscheidenden Tor für den BVSV Nürnberg. Die Franken bezwangen die SSG Blista Marburg im Spiel um Platz Drei mit 13:12.

Es hat Spaß gemacht, diesen beiden jungen Mannschaften zuzuschauen. Für Nürnberg wäre mit ein bisschen mehr Konsequenz bei den Strafwürfen vielleicht auch im Halbfinale gegen Rostock ein wenig mehr möglich gewesen. Bei Marburg ist mir besonders Nils Emich in Erinnerung geblieben, der nach dem Wechsel von Michael Dennis nach Berlin deutlich mehr Wurfverantwortung tragen muss. Diese Rolle hat er stark ausgefüllt. Er ist wie ich finde auch ein legitimer Kandidat für die Nationalmannschaft.

Ein Finale wie aus dem Lehrbuch

Der krönende Abschluss des Tages war das Finale zwischen dem RGC Hansa Rostock und den Füchsen Berlin. Beide Mannschaften zeigten große Leidenschaft und alles, was diesen Sport ausmacht. Berlin geriet kurz vor der Pause nach gutem Beginn in Rückstand und sollte diesen erst zum Ende der regulären Spielzeit aufholen. Michael Dennis, den ich nach dem Halbfinale nur noch zweimal „Feistle“ genannt hatte, sorgte in der letzten Minute für das 10:10 und wieder ging es in die Verlängerung. Dort spielte Dennis dann aber auch den Partycrasher für uns Kommentatoren, denn direkt mit dem ersten Wurf der Füchse gelang ihm das Golden Goal.

Wir hatten ehrlich gesagt auf noch mehr Spannung, also eine längere Overtime gehofft. In diesem Zusammenhang möchte ich einmal für eine Verlängerung ohne Golden Goal werben. Das wäre in meinen Augen die sportlich fairere Lösung. Damit soll aber nicht die großartige Mannschaftsleistung der Füchse samt Tormaschine Dennis geschmälert werden. Dass er in dieser Situation so eiskalt zur Stelle ist, lässt mich und wahrscheinlich noch viele andere staunend zurück. Im Interview nach dem Halbfinale hatte er ein Gespräch mit seinen immer noch angeschlagenen Knien angekündigt. Ich und alle Wunderheiler dieser Welt hätten wahrscheinlich gerne gelauscht.

Was bleibt

Für Rostock war es eine bittere Niederlage, die aber nicht unvermeidbar war. Am Ende gaben ein paar individuelle Nachlässigkeiten den Ausschlag dafür, dass der Vorsprung nicht gehalten hat. Wenn man aber sieht, wie jung die aufgebotene Mannschaft rund um Leitwolf Reno Tiede war, braucht man sich an der Ostsee keine Sorgen um die Zukunft machen. Da werden noch einige Pokale hinzukommen. Auch in die kommende Bundesligasaison geht der Titelverteidiger als Favorit. Vieles spricht aus meiner Sicht für einen Zweikampf mit Chemnitz.

Die Füchse Berlin haben angeführt von Amanda und Michael Dennis ein ordentliches Statement gesetzt. Alles andere, als der sofortige Aufstieg in die erste Liga würde mein Goalball-Weltbild doch arg erschüttern. Wenn sich Nürnberg und Marburg weiter stabilisieren, sollten beide mindestens die Liga halten. Mindestens genauso beeindruckend wie die Teams auf dem Feld war das Team an der Pfeife. Sarah Küpper und Christian Friebel waren gemeinsam in allen vier Spielen als Schiedsrichtergespann im Einsatz. Christian war auch noch in den Auf- und Abbau involviert. Wieso habe ich da jetzt ein äußerst fleißiges Eichhörnchen vor Augen? Wie auch immer, Goalball-Deutschland sollte hoffen, dass bei ihm am Ende des Jahres kein Winterschlaf

Einsetzt.

Für mich gab es beim Profilbeton Supercup eine schöne Mischung aus altbewährtem und erfrischend neuem. Der Goalballsport ist weiter in sehr guten Händen. Ich werde natürlich Fan bleiben, manchmal aus der Ferne, hin und wieder auch aus nächster Nähe und vielleicht auch mal wieder am Mikrofon. Danke an all diejenigen, die uns im Stream zugehört haben. Respekt an jene, die die gesamten rund sechs Stunden mit dabei waren. Darunter der Geschäftsführer von Profilbeton höchst persönlich. Auch der ehemalige Bundestrainer Johannes Günter ließ es sich nicht nehmen, vorbeizuschauen. Im Übrigen habe ich gehört, dass eine Neuauflage des SuperCups 2023 sehr wahrscheinlich ist. Keine Ahnung, ob ich das verraten durfte, aber so ein bisschen Restrisiko muss man bei einem Kolumnisten immer einkalkulieren.