Reno Tiede: „Habe mir geschworen, im Finale zu stehen“

Reno Tiede wartet auf den ball

In unserer Interviewreihe sprachen wir im Juni mit Nationalspieler Reno Tiede. Der 31-jährige Familienvater ist nicht nur seit vielen Jahren fester Bestandteil der Nationalmannschaft, er engagiert sich auch schon über ein Jahrzehnt für den Goalball abseits des Spielfeldes. Vom Jugendverein VfL Blau-Weiß Neukloster zog es Reno zunächst zur SSG Blista Marburg, mit der er zwei Deutsche Meisterschaften feierte, ehe er in Rostock den RGC Hansa gründete und 2019 in seiner Geburtsstadt mit Deutschland Europameister wurde.

goalball.de: Die Corona-Pandemie ist ein fester Bestandteil unseres Lebens geworden. Was hat sich für dich ganz persönlich seit März 2020 verändert?

Reno: Wie das Schicksal es so wollte, wurden die Paralympics am Geburtstag meines Sohns verschoben. Daher konnte ich 2020 viel mehr Zeit mit ihm und meiner Familie verbringen. Natürlich seiht das dieses Jahr nun wieder ganz anders aus aber die Zeit hat mir gut getan. Ich habe für mich ganz persönlich auch gelernt, Dinge anders zu sehen und meinen Alltag mit Familie, Job und Training anders zu strukturieren. Ich denke, dass ich gerade davon auch langfristig nach der Pandemie profitieren werde.

goalball.de: Du hast gemeinsam mit Charlotte Kaercher einen drei-jährigen Sohn. Was bedeutet er für dich ganz persönlich? Ist es ein Zusätzlicher Motivationsfaktor, gerade, da er nun auch in ein Alter kommt, in dem er sich an Ereignisse später erinnern kann?

Reno: Das eigene Kind gibt dem Leben eine andere Qualität, da man etwas für sich und seine Familie aufbaut. Das bezieht sich nicht nur auf rein materielle Dinge sondern auch auf Erfahrungen oder bestimmte Ereignisse, von denen man als Kind auch für das spätere Leben lernt. Für mich ist diese Zeit so, dass ich ein Museum für unseren Sohn aufbaue mit Erinnerungen gefüllt und da möchte ich ihn eines Tages durchführen und ihm so vieles mit auf den Weg geben.


goalball.de: Neben deiner kleinen Familie ist dein Terminkalender durch deine Anstellung beim VBRS M-V, das Training für Tokyo und den Vorsitz beim RGC Hansa sehr voll. Musst du manchmal bei Dingen Abstriche machen oder wie vereinbarst du all dies miteinander?

Reno: Früher habe ich mich in alles voller Begeisterung hinein gestürzt und wollte alles selbst in die Hand nehmen. Aber das ist nun anders. Ich musste lernen, dass ich mich aus bestimmten Projekten auch mehr rausziehen muss, damit ich alles miteinander optimal vereinbart bekomme. Dabei hilft es natürlich auch, dass z. B. beim RGC viele motivierte Leute mit anpacken und mir so für strukturelle Arbeit den Rücken freihalten und ich mich als Vorsitzender eher weniger um das alltägliche Geschäft kümmern muss. So konnte ich mir selbst auch eine neue Arbeitsstruktur geben und kann allen Seiten gerecht werden. Wichtig dabei ist aber auch, dass der VBRS mich sehr stark als Arbeitgeber unterstützt. Für Lehrgänge und Wettkämpfe erhalte ich z. B. Sonderurlaub, was nicht selbstverständlich ist und dafür bin ich meinem Arbeitgeber sehr dankbar, weil erst dadurch die Möglichkeit besteht alles miteinander gut vereinbaren zu können.


goalball.de: Dein ehrenamtliches Engagement habe ich schon angedeutet. Du warst viele Jahre bei der SSG Blista Marburg im Vorstand, führst seit Gründung 2014 den RGC durchs Fahrwasser der Ostsee und hast warst lange bei AktivGOAL im Vorstand. Welche Beweggründe hast du, dass du dich Abseits des Spielfelds noch ehrenamtlich einbringst für den Sport regional und bundesweit?

Reno: Grundsätzlich macht es mir Spaß etwas zu entwickeln. Goalball bietet auf verschiedenen Ebenen viel Entwicklungspotenzial. Dabei geht eine lokale Entwicklung oftmals eng mit einer bundesweiten einher. Sofern die Strukturen in Deutschland nicht ausgeprägt sind, hilft mir das als Verein vor Ort auch nicht weiter, gerade in der Ansprache von potenziellen Partnern für den Sport.
Mit einem attraktiven System machen wir es der Sportart Goalball in Deutschland leichter, dass sich neue Vereine oder engagierte Menschen für die Sportart finden und wir diese an die Sportart binden. Sicherlich haben wir da noch Potenzial in Deutschland und genau das ist es, warum ich mich ehrenamtlich für den deutschen Goalball lokal und bundesweit einsetze.

goalball.de: Werfen wir einen Blick auf das Sportliche: Welche Ziele hast du führ das Jahr 2021 insbesondere mit Blick auf Tokyo?

Reno: Das große Ziel heißt: Gold in Tokyo! 2008 habe ich beim paralympischen Jugendlager in Peking bei der Eröffnungsfeier im Stadion gesessen und mir geschworen, dass ich auch einmal dabei sein möchte. Das habe ich mir in Rio schon erfüllen dürfen. In Rio habe ich dann in der Future-Arena beim Finale nur auf der Tribüne gesessen und habe mir damals fest vorgenommen, dass wir auch einmal dabei sein werden. Und das ist nun das große Ziel, dem sich alles andere unterordnet.

Mit dem RGC wäre es natürlich einmal schön, wenn wir Deutscher Meister werden. Aber momentan ziehe ich viel mehr den Hut vor all den Leuten, die hier in Rostock 1,5 Jahre trainiert haben, ohne ein Ziel vor Augen zu haben, wie Felix und ich das haben. Das macht mich stolz und ist mir wichtiger, als jeder Titel, weil ich sowas noch nicht gesehen habe.

goalball.de: Mit den Herren hast du bereits mehrere Medaillen gewonnen. Hast du unabhängig von 2021 noch einen sportlichen Traum, den du dir erfüllen möchtest?

Reno: Als Athlet möchte ich immer den maximalen Erfolg haben. Dabei muss man aber immer darauf schauen, wo man herkommt und welche Qualität das Team im Vergleich zu anderen hat. Bronze mit dem RGC in der Bundesliga 2019 war so ein maximaler Erfolg für uns. Grundsätzlich bin ich aber jemand, der sich ein Leben ohne Wettkampf nicht vorstellen kann. Wenn meine aktive Karriere einmal zu Ende geht, möchte ich in irgendeiner Form als Trainer aktiv sein und dann die Sportler*innen zu diesen maximalen Erfolgen führen und sie antreiben.

Foto: Binh Truong / DBS