In unserer Interviewreihe sprachen wir im
März mit der aktuell wohl erfahrensten deutschen Goalballerin. Charlotte
Kaercher spielt bereits über zehn Jahre und war bis 2012 bereits einmal in der
Nationalmannschaft. Die gebürtige Heidelbergerin spielt schon seit der Gründung
des RGC Hansa im Jahr 2014 für die Mannschaft von der Ostseeküste. „Charly“,
die einen knapp dreijährigen Sohn hat, arbeitet aktuell hart an ihrem Comeback
für das Nationalteam und hat sich auch einiges vorgenommen.
goalball.de: Im März 2020 wurde die Bundesliga in
Rostock aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. Was hat sich seither für dich
ganz persönlich durch die Pandemie verändert?
Charlotte: Da es insbesondere beruflich immer
wieder neue bzw. veränderte Einschränkungen gibt, muss ich meinen Alltag immer
wieder neu strukturieren und selbstständig organisieren. Zum 1. Juli 2020 wurde
ich in den Teamkader berufen und darf die Trainingsmöglichkeiten am OSP nutzen.
Auch hier gab es im vergangenen Jahr unterschiedliche Vorgaben. Das muss dann alles
unter einen Hut gebracht werden.
goalball.de: Du und dein Lebensgefährte Reno Tiede
haben einen dreijährigen Sohn, du bist berufstätig und Nationalspielerin: wie
schaffst du dies alles miteinander zu vereinbaren?
Charlotte: Der Sport war schon immer ein wichtiger
Ausgleich für mich zu Arbeit und Familie. Natürlich gibt es Phasen, in denen
ich nicht allem so gerecht werden kann wie ich es gerne würde. Mit einem sehr
guten Zeitmanagement, viel Organisation und guten Absprachen, insbesondere in
Bezug auf unseren Sohn, ist es derzeit gut zu schaffen. Meist sehen die Wochen
recht unterschiedlich aus, sodass ich oft auch abends oder am Wochenende
zuhause trainiere, wenn der Kleine im Bett ist. Er ist in der Sporthalle und
mit der Mannschaft aufgewachsen und somit oft auch bei Goalballeinheiten und
Turnieren dabei. Durch gute private Unterstützung freut er sich aber auch mal
auf einen Nachmittag oder ein Wochenende ohne uns:-)
goalball.de: Du warst bereits bis 2012 Teil der
Damen-Nationalmannschaft. Was hat dich angetrieben, dass du dich für ein
Comeback mit dem Adler auf dem Trikot entschieden hast?
Charlotte: Ich habe bis auf die Zeit rund um die
Geburt weiterhin Goalball gespielt und Sport gemacht. Seit der Gründung des
RGCs habe ich zudem die tolle Möglichkeit regelmäßig internationale Turniere zu
spielen. Die neue Formierung der Nationalmannschaft und die immer besser
werdenden Trainingsbedingungen in Rostock haben den Ehrgeiz nochmal geweckt mit
dem Adler auf der Brust auflaufen zu dürfen.
goalball.de: Die Nationalmannschaft hat erst im vergangenen
Jahr ein komplett neues Gesicht bekommen. Die Corona-Situation macht den
Neustart sicher nicht einfacher und ihr dürft aktuell nicht als Nationalteam
zusammen trainieren. Wie kompensiert ihr die fehlenden Lehrgänge als Mannschaft?
Charlotte: Die fehlenden Lehrgänge erschweren
natürlich die Neuformierung und die Vorbereitung auf die EM. Wir haben das
Glück, dass alle Bundeskader von uns an ihren Heimatorten unter Auflagen sowohl
am OSP als auch in der Halle trainieren dürfen. Da gleich drei von uns in Rostock
leben, sehen wenigstens wir uns mehrmals die Woche, haben viel Spieltraining
und auch mal ein Trainingswochenende. Zudem treffen wir uns als Mannschaft
regelmäßig online zu einem Workout und tauschen uns aus. Dank sozialer Medien
bleiben wir Spieler auch sonst regelmäßig in Kontakt, motivieren uns fürs
Training zuhause und geben uns gegenseitig Ideen, was es alles an Möglichkeiten
gibt sich ohne Goalballtraining fit zu halten.
goalball.de: Welche sportlichen Ziele hast du in
2021?
Charlotte: Mit dem RGC möchte ich gerne die erste
Damenmeisterschaft gewinnen und bei unserer ersten Teilnahme an der Frauen SEGL
möglichst weit kommen. Bei der ersten MV Championship sind wir bereits im
Halbfinale und wollen den Titel holen.
International steht dieses Jahr natürlich ganz im
Zeichen der A-EM. Dort würde ich gerne mit der Mannschaft unter die ersten fünf
kommen.
goalball.de: Als Bundeskadersportlerin darfst du
in Rostock und beim RGC unter Auflagen trainieren. Glaubst du, dass es eine
Auswirkung auf die Ziele mit den Damen hat, dass ihr aktuell keine Lehrgänge
abhalten dürft?
Charlotte: Wenn wir uns Ende April hoffentlich
beim nächsten Lehrgang wieder sehen, werden circa sechs Monate vergangen sein,
in denen ein Teil von uns kein einziges Mail einen Ball in der Hand hatte. Das
ist aus meiner Sicht ein sehr langer Zeitraum in der Phase einer Neuformierung
und erschwert die wichtige EM-Vorbereitung. Nicht nur spielerisch sondern auch
abseits des Feldes wäre es enorm wichtig sich regelmäßig bei Lehrgängen zu
sehen. Wie gut wir an den letzten Lehrgang anknüpfen können und welche
Auswirkungen es haben wird, wird sich zeigen. Um die Auswirkungen auf unsere
Ziele aber so gering wie möglich zu halten, hoffe ich einfach sehr, dass
wenigstens ab April wieder Lehrgänge stattfinden können und bin mir sicher,
dass die Mannschaft dann hochmotiviert durchstarten wird.
goalball.de: Du engagierst dich auch abseits dies
Spielfeldes stark für den Sport sei es in Vereinsvorständen oder rund um
Veranstaltungen des RGC Hansa oder auch im Förderverein AktivGOAL. Was bewegt
dich, dass du bei einem schon sehr vollen Tag dich zusätzlich noch ehrenamtlich
für Goalball einsetzt?
Charlotte: Inzwischen ist die Zeit für
Ehrenamt leider sehr knapp geworden. Dennoch finde ich es wichtig meinen Sport
zu unterstützen. Sowohl bei meiner Vereinsarbeit damals in Marburg, als auch
jetzt in Rostock motiviert es einen sehr, wenn man sieht, was in kurzer Zeit
wachsen und entstehen kann. Durch die ehrenamtliche Arbeit hat man also die
Möglichkeit den Sport voranzubringen, sowohl regional als auch bundesweit.
Goalball ist eine so kleine Sportart, dass es ohne ehrenamtliche Helfer
unmöglich ist Turniere auszurichten oder das tägliche Vereinsleben zu
organisieren.
goalball.de: Unabhängig vom Jahr 2021: hast du
allgemein sportliche Ziele, die du gerne einmal erreichen möchtest?
Charlotte: Mein Ziel ist auf jeden Fall eine
Teilnahme bei einer WM und natürlich träumt jeder Sportler von den
Paralympics;-)
Charlotte Kaercher: „Ehrgeiz, nochmal den Adler auf der Brust zu tragen.“
